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Christian Busch über Serendipity: „Macht das Unerwartete zu eurem Freund“
Abstract
In unsicheren Zeiten neigen Führungskräfte dazu, alles kontrollieren zu wollen. Stattdessen wäre es besser, das Unerwartete willkommen zu heißen, denn auf diese Weise entstehen unerwartete Chancen. Professor Dr. Christian Busch spricht mit Colin Fernando über das Prinzip der „Serendipity": Wie es Unternehmen und Menschen gelingt, ihr „aktives Glück" zu kultivieren und so ihre Innovationskraft und Resilienz zu stärken.
Christian Busch: Serendipity bedeutet „aktives Glück". Es entsteht, wenn wir mit dem Unerwarteten richtig umgehen. Anders als das „blinde Glück", das rein zufällig geschieht, beruht Serendipity auf dem Zusammenspiel von Zufall und unserer Reaktion darauf. Es bedeutet, aus unerwarteten Ereignissen etwas zu machen.
Busch: Stellen Sie sich vor, Sie verschütten aus Versehen Ihren Kaffee über Ihren Sitznachbarn im Zug. Das ist ein Zufall, eine unangenehme Panne. Jetzt haben Sie mehrere Möglichkeiten: Sie könnten sich wortlos entschuldigen und die Sache abhaken. Oder Sie entschuldigen sich und kommen mit der Person ins Gespräch. Vielleicht entdecken Sie ja gemeinsame Interessen und aus dem Malheur entsteht eine Freundschaft oder eine Geschäftsidee?
Das macht den Unterschied: Serendipity entsteht nicht durch Zufall allein, sondern durch das, was wir daraus machen. Hätten Sie nicht das Gespräch gesucht, wäre nichts weiter passiert – so aber entsteht die Chance auf Neues.
Busch: Tatsächlich verdanken viele Innovationen dem Zufall ihren Ursprung – oder vielmehr dem richtigen Umgang mit einem Zufall.
Ein Lieblingsbeispiel von mir ist die Kartoffel-Waschmaschine. Ein Haushaltsgerätehersteller in China erhielt eine unerwartete Beschwerde von Landwirten: Ihre herkömmlichen Waschmaschinen gingen kaputt, wenn man darin Kartoffeln wäscht. Anstatt die Kunden zu rügen – „Benutzen Sie die Maschine gefälligst nur für Wäsche!" – tat das Unternehmen etwas Anderes: Es hörte zu und reagierte. Die Ingenieure entwickelten eine Waschmaschine mit Schlammfilter, optimiert fürs Kartoffelwaschen.
So wurde aus einem seltsamen Kundenproblem eine Innovation: die Kartoffel-Waschmaschine. Das Beispiel zeigt, wie Serendipity in Unternehmen funktioniert: Man lehnt das Ungeplante nicht ab, sondern begegnet ihm mit Neugier und Offenheit.
Prof. Dr. Christian Busch lehrt und forscht an der University of Southern California. Er ist Autor des DER SPIEGEL-Wirtschaftsbestsellers „Erfolgsfaktor Zufall" („ein kluges, spannendes und lebensveränderndes Buch", Arianna Huffington) und war Co-Direktor des Innovationszentrums der London School of Economics.
Über seine Arbeit berichteten unter anderem „Harvard Business Review", „Forbes" und die „BBC". Prof. Busch ist Mitglied des Expertenforums des World Economic Forums, Fellow der Royal Society of Arts, wurde vom Capital Magazin zu den „Top 40 unter 40" gekürt und steht auf der Thinkers50-Radar-Liste der Denker, die „die Zukunft am ehesten gestalten werden".
Busch: Bis vor Kurzem wurde Serendipity tatsächlich gern als Kuriosität abgetan, nach dem Motto: „Na, da haben Sie aber Glück gehabt." Man nahm sie wissenschaftlich und strategisch nicht ernst. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren drastisch geändert. Serendipity ist heute ein anerkanntes Forschungsfeld.
Renommierte Fachzeitschriften widmen ihr ganze Ausgaben. Junge Wissenschaftler können jetzt Karriere machen, indem sie Serendipity erforschen – früher galt das als „akademischer Selbstmord". Ich selbst spreche regelmäßig darüber auf internationalen Management-Konferenzen. Diese Entwicklung freut mich enorm, denn wir lernen so viel genauer, wie und warum Serendipity funktioniert.
Busch: Weil die vollkommene Kontrolle in einer komplexen Welt eine Illusion ist – und gefährlich obendrein. Natürlich soll man als Führungskraft Pläne machen und eine Strategie haben. Aber man sollte ebenso einkalkulieren, dass immer etwas Unvorhergesehenes die schönsten Pläne durcheinanderwerfen kann.
Wer stur an seinem Plan festhält, läuft Gefahr, an neuen Entwicklungen zu scheitern oder Chancen zu verpassen. Mein Rat lautet: Planen Sie – aber planen Sie das Ungeplante mit ein.
Busch: Ja, das untermauern inzwischen auch Studien. Sie belegen, dass Teams und Organisationen, die Serendipity fördern, oft innovativ sind, wertvolle Partnerschaften eingehen und erfolgreiche Karrieren vorweisen. Wenn Menschen ermutigt werden, unerwartete Ideen einzubringen, führt das oft zu mehr Innovation und neuen Geschäftsbeziehungen.
Unternehmen, die dem Zufall Raum geben, finden agile Lösungen und sind den Mitbewerbern einen Schritt voraus. Entscheidend ist jedoch die Kultur, das Unerwartete muss willkommen sein. Serendipity wird nicht funktionieren, wenn eine Firma nur behauptet „Wir lieben neue Ideen", aber in Wahrheit jeden Fehler abstraft und Neudenker belächelt.
Wollen Sie das komplette Interview mit Professor Christian Busch hören?
Hier geht's zum Podcast BrandTrust Talks Beyond: „Serendipity: Der glückliche Zufall" (rund 90 Minuten, meist in Englisch)
Busch: Serendipity lässt sich üben wie ein Muskel. Es geht um die richtige Haltung und um konkrete Methoden. Ich empfehle zum Beispiel:
Setzen Sie „Hooks": Anstatt sich mit einem einzigen Satz vorzustellen, nennen Sie drei Interessen oder Projekte von sich. Das erhöht die Chance, dass Ihr Gegenüber bei einem Thema andockt. Sagt jemand zum Beispiel: „Ich bin Unternehmensberater und Jazz-Pianist und zweifacher Vater", ergeben sich drei Chancen, um ins Gespräch zu kommen. Vielleicht ergibt sich ja aus dem Smalltalk eine wichtige Verbindung?
Teilen Sie Überraschungen: In Meetings frage ich gern: „Was hat euch letzte Woche am meisten überrascht?" Diese simple Frage lenkt den Blick weg vom Üblichen. Plötzlich kommen Beobachtungen zur Sprache, die untergegangen wären, obwohl sie Ausgangspunkte für Ideen und Verbesserungen sind.
Bringen Sie Ideen und Kontakte ein: Machen Sie es sich zur Gewohnheit, in jedem Gespräch etwas Wertvolles beizutragen – sei es eine Idee, ein Gedanke oder das Bekanntmachen zweier Leute, die voneinander profitieren könnten. Dieses „dot connecting", das Verbinden von Punkten, kann man trainieren. Wer sich ständig fragt „Wen oder was kenne ich und könnte hilfreich sein?" wird staunen, wie oft sich Dinge plötzlich fügen.
Busch: Serendipity heißt nicht, naiv alles schönzureden. Das Leben ist nicht immer rosig und nicht jeder Zufall ist gut.
Ich selbst habe diese Erfahrung gemacht: Anfang diesen Jahres verlor ich mit meiner Familie bei einem verheerenden Waldbrand in Los Angeles unser Zuhause. Unser Hab und Gut ging von einem Tag auf den anderen in Flammen auf. Das war schmerzhaft, und den Schmerz muss man annehmen und nicht ignorieren. Und sich dann fragen: was kann man jetzt noch beeinflussen? In meinem Fall war es, darüber zu schreiben: neue Studien und vielleicht auch ein neues Buch.
Worum es geht: Selbst in sehr dunklen Momenten können wir versuchen, einen Sinn zu finden, der uns trägt. Es geht um Meaning Making: dem Geschehen eine persönliche Bedeutung geben, damit es vielleicht doch noch zu einem sinn-stiftenden Wendepunkt im Leben wird.
Busch: Serendipity setzt ja voraus, dass überhaupt Gelegenheiten entstehen, auf die man reagieren kann. Menschen in prekären Lebensumständen haben davon oft weniger. Wer um die nächste Mahlzeit kämpfen muss oder in unsicherer Umgebung lebt, hat verständlicherweise andere Sorgen, als Zufallschancen zu kultivieren.
Allerdings habe ich von unseren Studien in solchen Umfeldern – zum Beispiel in den Townships von Kapstadt – gelernt, wie schon kleinste Gesten Serendipity auslösen können: In einem sozialen Projekt dort schenken die Mitarbeiter jedem Besucher als erstes einen frisch gebrühten Cappuccino ein. Das mag banal klingen, aber viele Menschen in diesen Vierteln haben noch nie einen Barista-Kaffee getrunken.
Diese einfache respektvolle Geste durchbricht Barrieren: Plötzlich sitzen da zwei Menschen aus völlig unterschiedlichen Welten zwanglos bei einem Cappuccino. Sie begegnen einander auf Augenhöhe, kommen ins Gespräch. Man kann also auch ohne große Mittel versuchen, positive Zufälle zu schaffen. Wir als Gesellschaft sollten überlegen, wie wir mehr solcher Räume bieten können, gerade für weniger Privilegierte. Es geht oft um Respekt und um Würde.
Busch: Davon bin ich überzeugt. Unsere Welt wird immer komplexer und lässt sich immer weniger durchplanen. In so einem Umfeld wird die Fähigkeit, mit dem Unerwarteten produktiv umzugehen, zur Schlüsselkompetenz.
Wir stehen hier erst am Anfang. Künftig werden erfolgreiche Unternehmen jene sein, die Serendipity in ihre Prozesse und in ihre Kultur integriert haben, wie es auch das World Economic Forum in seinem Beitrag über unerwartete Verbindungen als Treiber von Innovation und Resilienz beschreibt. Im Grunde geht es darum, starres Denken aufzugeben und stattdessen flexibel auf Überraschungen zu reagieren und das Unerwartete in die Planung mit aufzunehmen.
Mein Fazit lautet deshalb: Macht das Unerwartete zu eurem Freund! Die spannendsten Entwicklungen beginnen oft als Störung im gewohnten Ablauf.
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